„Finger weg von der Staatsangehörigkeit“: Darum bricht AfD-Politiker Krah mit völkischen Ideen

Nach der Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextrem“ fordert Maximilian Krah überraschend eine Abkehr von der Remigration. Sein Plan hat strategisches Kalkül.
Nach der Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextrem“ durch den Verfassungsschutz fordert der AfD-Politiker Maximilian Krah eine strategische Abkehr von völkischen Ideen. Während sich Spitzenfunktionäre wie der Parteivorsitzende Tino Chrupalla darum bemühen, der Einschätzung des Verfassungsschutzes zu widersprechen, geht Krah einen Schritt weiter: Er distanziert sich von zentralen Konzepten der Neuen Rechten.
Forderungen nach „Remigration“ oder „ethnischer Homogenität“ seien politisch realitätsfern und rechtlich gefährlich, schreibt Krah auf der Plattform X in mehreren Tweets als Reaktion auf einen Bericht der Rechercheplattform Correctiv. Sie könnten zu einem Parteiverbot führen.
Man kann das durchaus als Kehrtwende verstehen. Noch vor einem Jahr klang Krah ganz anders, deutlich radikaler. In seinem Buch „Politik von rechts“ hatte er die Wiederherstellung einer „kulturellen deutschen öffentlichen Ordnung“ gefordert. Eine solche gebe es insbesondere in urbanen Gebieten nicht mehr. „Remigration“ sei dafür ein zentrales Mittel: Menschen mit Migrationsgeschichte sollten sich entweder „assimilieren“ oder das Land verlassen.
AfD macht sich laut Verfassungsschutz völkische Ideologie zu eigenDer Begriff der „Remigration“ stammt aus dem Umfeld der Identitären Bewegung um Martin Sellner. Bekannt wurde er durch eine Recherche von Correctiv über ein Treffen im November 2023 nahe Potsdam. Dort sprach Sellner vor AfD-Funktionären und anderen Gästen über die massenhafte Rückführung auch deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund. Ziel: eine ethnisch homogene Gesellschaft. Der Bericht löste Massenproteste im ganzen Land aus.
Trotzdem übernahm die AfD auf ihrem Parteitag in Riesa im Januar 2025 den Begriff in ihr Wahlprogramm. Parteichefin Alice Weidel sagte: „Wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben Remigration.“ Zwar bezog sich der Parteitagsbeschluss formal nur auf Menschen ohne Aufenthaltstitel. Doch laut Verfassungsschutz geht die dahinterliegende Ideologie weit darüber hinaus. In der Partei herrsche ein „ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis“ vor. Deutscher sei für die AfD nicht schon, wer einen Pass habe, sondern wer von Deutschen abstamme.
Ein solches Verständnis ist laut dem Oberverwaltungsgericht Münster nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Gericht hatte die Beschwerde der AfD abgelehnt, vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden. In der Begründung heißt es: „Verfassungswidrig und mit der Menschenwürde unvereinbar ist die Verknüpfung eines ethnisch-kulturellen Volksbegriffs mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage gestellt ist.“
Krah befürchtet ein AfD-ParteiverbotVor wenigen Tagen hatte der Verfassungsschutz die AfD deshalb öffentlich als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. An diesem Donnerstag nahm die Behörde die Einstufung wieder zurück – jedoch nur vorläufig. Nachdem die AfD Klage eingereicht und ein Eilverfahren angestrengt hatte, verpflichtete sich das Bundesamt gegenüber dem Verwaltungsgericht Köln zu einer sogenannten Stillhaltezusage. Das bedeutet: Bis zur Entscheidung im Eilverfahren verzichtet die Behörde darauf, die AfD öffentlich weiter als „gesichert rechtsextrem“ zu bezeichnen.Am Inhalt des rund 1100 Seiten starken Gutachten ändert das nichts. Und auch nicht an Krahs Reaktion darauf.
Offenbar scheint ihn ein drohendes Parteiverbot zum Umdenken zu bewegen. Auf X schreibt er, eine ethnische Homogenität sei „nicht mehr herstellbar“. Der Staat könne „die Veränderungen, die Masseneinwanderung bringt, nicht rückgängig machen“. Wer weiterhin ganze ethnische Gruppen pauschal anspreche, selbst bei Staatsbürgern, gefährde die Zukunft der AfD.
Krah bricht also offen mit der völkischen Linie jener, mit denen er sich gerade noch gemein gemacht hatte. Noch im Juli 2023, einen Tag, nachdem er auf dem Bundesparteitag in Magdeburg zum Spitzenkandidaten der AfD für die Europawahl 2024 gewählt wurde, hatte er geschrieben: „ Wir werden, wenn es so weitergeht, bis zum Ende des Jahres den Begriff Remigration in der Gesellschaft [...] platziert haben. Krah in Magdeburg, Sellner in Wien – das sind Zahnräder, das ist die gelungene Verschränkung von Vorfeld und Partei, von Nachdenken und Umsetzen.“
Jetzt erklärt er diese Strategie für nutzlos. An einen X-User schreibt er: „Finger weg von der Staatsangehörigkeit, ist das so schwer?“ Man könne damit nur verlieren. Die „Fixierung auf Remigration“ sei ein Konzept ohne Realitätsbezug, mit dem die AfD „absehbar keine Macht“ erlangen könne. Sobald die Grenzen zu und kriminelle Asylbewerber rückgeführt worden seien, „ist für die Masse der Volksdeutschen das Thema erledigt“. Für ein „weitergehendes ethnisches Programm“ gebe es in der Bevölkerung keine Mehrheit. „Ich bin nicht bereit, wegen einer für die Zukunft Deutschlands nicht maßgeblichen Frage die Zukunft des politischen Projekts AfD zu opfern.“
AfD steht ideologischer Richtungsstreit bevorWährend es in der Partei bislang noch still ist, provozieren Krahs Aussagen im rechtsextremen Vorfeld bereits Widerspruch. Auf der Plattform X stellt Gerhard Vierfuß, Anwalt der Identitären Bewegung, Krah öffentlich zur Rede: Warum, so fragt er, habe dieser seine Position innerhalb so kurzer Zeit revidiert? In strategischen Fragen sei nicht Krah, sondern Martin Sellner die Autorität. Krah kontert: Entscheidend sei nicht das Weltbild, sondern die politische Wirksamkeit. „Über allem steht die Notwendigkeit, Wahlen zu gewinnen und absehbar auch einen Koalitionspartner zu finden“, schreibt er und lässt folgen: „Alles das ist bedauerlicherweise bei Ihrem Weg ausgeschlossen.“ Woraufhin Vierfuß die Existenzfrage stellt: „Wofür braucht es dann noch eine alternative Partei?“Genau diese Frage dürfte die AfD in den kommenden Wochen beschäftigen. Wie umgehen mit der Einstufung des Verfassungsschutzes: Weitere Radikalisierung, wie sie das Vorfeld fordert? Oder Mäßigung und strategische Neuausrichtung, um einem Parteiverbot zu entgehen? Die AfD ist in den vergangenen Jahren, getrieben durch das Vorfeld, immer weiter nach rechts gerückt. Einiges deutet darauf hin, dass ihr nun ein ideologischer Richtungsstreit bevorsteht, der sie in ihren Grundfesten erschüttern könnte.
Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! [email protected]
Berliner-zeitung